Artenkenntnis – Pfeiler des Naturschutzes
Beitrag aus der Mitgliederzeitschrift «Pro Natura Lokal» 1/2025
Die weltweite Vielfalt an Mikroorganismen, Pilzen, Pflanzen und Tieren ist riesig. Schätzungsweise 10 bis 30 Millionen Arten könnte es geben. Davon sind weniger als zwei Millionen wissenschaftlich beschrieben. Selbst in der Schweiz, wo rund 56’000 Arten nachgewiesen sind, warten noch Zehntausende weitere Arten auf ihre Entdeckung.
Immer mehr Arten sterben aus
Die Listen der gefährdeten Arten werden immer länger. Von den rund 10'000 bewerteten Arten in der Schweiz gilt rund die Hälfte als ausgestorben, gefährdet oder potenziell gefährdet. Fläche und Qualität von Lebensräumen nehmen weiter ab, die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen schreitet ungebremst voran und der schleichenden Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser schauen wir machtlos zu.
Naturschutz braucht Artenkenntnis
Es ist gesellschaftlicher, politischer und gesetzlicher Konsens, dass Arten aufgrund ihres eigenen Wertes und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen auf Dauer zu schützen sind. Der Erhalt der biologischen Vielfalt, zu dem sich auch die Schweiz verpflichtet hat, kann nur mit guten Kenntnissen über die einzelnen Arten und deren verwandtschaftliche Beziehung gelingen. Für den Naturschutz spielen Artenkennerinnen und -kenner deshalb eine Schlüsselrolle: Sie erforschen und beschreiben Arten, beurteilen deren Gefährdung, erstellen Bestimmungsschlüssel, und liefern Hinweise für den Schutz ihrer Lebensräume.
Wissensverlust als Hypothek
Wir spazieren gerne im Wald, suchen Gewässer auf, um zur Ruhe zu kommen oder sammeln neue Energie auf einer Wanderung in den Bergen. Paradoxerweise entfremden wir uns immer weiter von der Natur: Das Wissen über Arten und Ökosysteme nimmt ab und ist vor allem bei der jüngeren Bevölkerung gering. Viele Artenkennerinnen und -kenner sind bereits älter und Nachwuchs zu finden, ist schwierig. Selbst in der Ausbildung haben Artenkenntnis und ökologische Zusammenhänge an Bedeutung verloren. Dem Artensterben kann jedoch ohne echte Artenkenntnis nicht erfolgreich entgegengewirkt werden. Diese Erkenntnisse haben dazu geführt, dass Fachorganisationen mit Unterstützung durch den Bund die «Strategie Bildung Artenkenntnisse» erarbeitet haben. Die Aus- und Weiterbildung in Taxonomie, Systematik, sowie Ökologie der in der Schweiz vorkommenden Artengruppen soll sichergestellt und das vorhandene Wissen besser zugänglich gemacht werden.
Naturvielfalt erleben
Die zunehmenden Wissenslücken beim Erkennen heimischer Tier- und Pflanzenarten und ein generell mangelhaftes Naturverständnis ist auch den Naturschutzorganisationen nicht entgangen. Um in der Bevölkerung die Bedeutung der Naturvielfalt nachhaltig zu verankern, ist ein breit gefächertes Angebot für Naturerlebnisse, insbesondere für Kinder und Jugendliche notwendig. Schulen, Museen oder Naturschutzorganisationen können mit ihren Angeboten wesentlich dazu beitragen. Die Pro Natura Jugendgruppe Luzern leistet seit vielen Jahrzehnten wichtige «Aufbauarbeit». Im Rahmen von rund 20 Anlässen pro Jahr lernt die junge Generation, oft spielerisch, die Natur und deren grundlegende Bedeutung kennen. Pro Natura Luzern bietet zusammen mit BirdLife Luzern und WWF Luzern bereits zum dritten Mal der «Grundkurs Naturschutz» an, der grundlegende Kenntnisse über Ökologie, Lebensräume und Arten sowie die praxisorientierte Umsetzung von Naturschutzmassnahmen vermittelt. Seit einigen Jahren finden zudem die «Tage der Artenvielfalt» statt, in diesem Jahr am 14. und 15. Juni in Horw. Artexpertinnen und -experten versuchen dann möglichst viele Arten nachzuweisen. Die Bevölkerung ist eingeladen, den Experten auf Exkursionen über die Schulter zu schauen und so die Vielfalt an Arten hautnah zu erleben.
Vom Naturfreund zur Spezialistin
Mit einer mehrjährigen Serie von «Artenkenntniskursen» möchte Pro Natura Luzern den schwindenden Naturkenntnissen etwas entgegenhalten. Der 2024 erfolgreich durchgeführte «Grundkurs Libellen» stiess auf grosses Interesse. In diesem Jahr findet nun ein «Grundkurs Spinnen» statt. Interessierte aus der ganzen Schweiz haben sich für den Kurs eingeschrieben, so dass dieser in Kürze ausgebucht war. Solche Bildungsangebote bieten die Chance, dass sich Naturfreunde zu Naturbeobachtern entwickeln, die bereits viele verschiedene Arten kennen. Artenkennerinnen und -kenner lernen neue Artengruppen kennen und bilden sich im besten Fall zu Expertinnen und Experten weiter.
Beobachten - benennen - bewundern!
Der Einstieg in die Artbestimmung fällt heute deutlich leichter. Einfach anzuwendende Bestimmungsschlüssel für viele Artengruppen sind verfügbar und die Bestimmungsarbeit wird durch gute mobile Anwendungen erleichtert (vgl. «Artenvielfalt digital»). «Citizen Science»-Projekte, etwa bei der Vogelbeobachtung, sind heute weit verbreitet. Allein die Zunahme der Anzahl Melderinnen und Melder von Beobachtungen auf der Plattform ornitho.ch um das mehr als Zehnfache in den letzten 20 Jahren zeigt dies eindrücklich. Damit verfügen wir heute über eine immer umfangreichere Datengrundlage, zumindest für die bekannten und einfach zu bestimmenden Artengruppen. Auch die Fotodokumentation der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt hat dank der Digitalisierung einen Qualitätssprung verzeichnet und Arten lassen sich häufiger anhand von Aufnahmen bestimmen. Diese Entwicklungen bieten gute Voraussetzungen, damit sich wieder mehr Naturinteressierte für die Vielfalt der Arten begeistern lassen und sich so verstärkt für den Schutz und die Förderung der Biodiversität einsetzen.
Samuel Ehrenbold