Klein, aber fein – Gräben und Wiesenbäche
Beitrag von Samuel Ehrenbold & Marianne Baruffa, Pro Natura Luzern, publiziert im Lokal 2-2023
Gräben sind oft von Menschenhand geschaffene Strukturen, die dem Wasser- oder Kulturlandmanagement dienen. Eine im Vergleich zur Wasserfläche lange Uferlinie, der Bewuchs der Sohle mit strömungsangepassten Unterwasserpflanzen oder artenreiche Säume mit Hochstauden-, Sumpf- und Röhrichtvegetation machen Gräben zu einem für den Naturschutz bedeutenden Lebensraum. Als lineare Elemente in der Kulturlandschaft haben sie überdies eine grosse Bedeutung als Struktur- und Vernetzungselement.
Viele Faktoren beeinflussen den Lebensraum
Wie naturnah sich ein Graben präsentiert und wie wertvoll er für die Biodiversität ist, hängt in erster Linie davon ab, ob der Graben eine natürliche Sohle hat oder ob er zum Beispiel mit Betonhalbschalen verbaut ist. Entscheidend ist zudem, ob permanent Wasser vorhanden ist oder ob der Graben zwischenzeitlich austrocknet. Weitere Faktoren wie Wassertemperatur, Nährstoffgehalt, Wassertiefe, Boden oder Fliessgeschwindigkeit beeinflussen die Palette an Pflanzen- und Tierarten.
Während Bäche und Flüsse oft mit Sträuchern und Bäumen bestockt sind, sind Wiesenbäche, Gräben und Kanäle meist baumfrei. Wenig beschattete Fliessgewässer weisen eine hohe Artenvielfalt auf. Deshalb sollte auf die aktive Bepflanzung von Fliessgewässerufern grundsätzlich verzichtet werden. Aus fischbiologischer Sicht jedoch sind ufernahe Strukturen erwünscht und sinnvoll.
Wertvolles Grundwasser
Von besonderer Bedeutung sind Gräben und Bäche, welche oberflächennahes Grundwasser fassen und ableiten. Gebiete mit sogenannten «Giessen» sind selten und liegen oft in Grundwasserschutzgebieten, welche auch für die Trinkwassergewinnung wichtig sind. Ein tiefer Nährstoffgehalt und eine konstante und vergleichsweise tiefe Temperatur sind für einige spezialisierte Lebewesen, wie zum Beispiel Bachflohkrebse oder die Helm-Azurjungfer, wichtig.
Gräben in Schutzgebieten?
Das Schutzgebiet Altmoos am Hallwilersee, ein Flachmoor von nationaler Bedeutung, weist ein Netz geradliniger Gräben auf. Die Gräben liegen zwischen artenreichen Riedwiesen und wurden wohl im letzten Jahrhundert angelegt, um das Gebiet überhaupt zur Streuegewinnung nutzen zu können. Trocknet ein Gebiet zunehmend aus, ist die Installation von Staustufen sinnvoll. Damit lässt sich der Wasserstand regulieren und angrenzende Flächen sind genügend vernässt.
Entscheidende Pflege
Ob und wie ein Graben gepflegt werden muss, lässt sich nicht pauschal beantworten. Jedes Gewässer hat andere Voraussetzungen. Selbst im gleichen Gewässer gibt es von Jahr zu Jahr Unterschiede, zum Beispiel auf Grund der Niederschlagsmengen oder der Luft- bzw. Wassertemperaturen. Aus naturschützerischer Sicht steht der Erhalt und die Förderung wertvoller Lebensräume im Vordergrund. Eine regelmässige Pflege ist für den Erhalt dieser Lebensräume elementar.
Der Unterhalt von Gewässern gibt auch im Naturschutz Anlass zu Diskussionen. An einem schmalen Graben kann die Vegetationshöhe bereits Mitte Mai hochwachsend sein. Damit ist die sichtbare und besonnte Wasseroberfläche, welche für Libellenarten wie den Kleinen Blaupfeil oder den Spitzenfleck anziehend ist, reduziert. Häufig dominiert auch Schilf, welches als sehr konkurrenzstarke Pflanze anderen Arten kaum Platz lässt. In beiden Fällen ist ein früher Schnitt angezeigt. Während ein Frühschnitt für gewisse Arten ein «Glücksfall» ist, kann er für andere ein Problem sein. Der Sumpfrohrsänger, der Vogel des Jahres, kehrt als einer der letzten Zugvögel in die Schweiz zurück. Ende Mai sind Nester gebaut und Eier gelegt. Das kunstvoll geflochtene Nest legt er gerne in hochstaudigen Bereichen entlang von Bächen oder Gräben, also genau in den Bereichen, die sich für einen Frühschnitt eignen. Eine vorgängige Nestersuche kann zumindest diesen Konflikt etwas entschärfen.
Zauberworte «Etappierung» und «Nutzungsmosaik»
Um negative Auswirkungen von Pflegemassnahmen zu begrenzen, sollten diese «etappiert» werden. So kann an einem Graben eine Seite im Frühschnitt gemäht werden, während die andere bis im Spätsommer oder Herbst stehen bleibt. Einzelne Abschnitte sollten überdies über den Winter als «Altgras» stehen bleiben. Durch die gestaffelte Nutzung entsteht das kleinräumige und besonders wertvolle Nutzungsmosaik. Unbedingt muss der hierfür notwendige Mehraufwand von Bund und Kanton entschädigt werden.
Die Mahd erfolgt im besten Fall mit der Sense. Ist dies nicht möglich, eignen sich Motorsensen mit Messern oder Kreiselscheren. Auf Fadentrimmer sollte unbedingt verzichtet werden und keinesfalls darf gemulcht oder gehackt werden. Das Schnittgut muss aus der Wasserfläche gezogen und abgeführt werden. Es eignet sich für das Erstellen von Streuehaufen, welche bevorzugt an besonnten Stellen aufgeschichtet werden. Ringelnattern schätzen diese als Eiablagestandort und viele Kleintiere finden in ihnen Unterschlupf. Solche Haufen sollten nicht direkt am Gewässerrand und keinesfalls in wertvollen Pflanzengesellschaften angelegt werden.
Wie können artenreiche Gräben gefördert werden?
Gräben werden artenreich, sobald sie differenziert gepflegt werden. Dies ist aber immer mit Handarbeit und einer gewissen Sensibilität für die Arten verbunden. Wer gezielt mit Frühschnitten die Dominanz von Schilf reduziert, kann mit grosser Wahrscheinlichkeit auf das Ausbaggern als letzte Option verzichten. Verschiedene Schnittzeitpunkte schaffen ein Mosaik, das wiederum den Artenreichtum fördert. Abgeflachte Böschungen können auch effizient mit einem Balkenmäher gemäht werden und somit die Handarbeit etwas erleichtern. Zu guter Letzt können Gräben gut mit Kleinstrukturen, wie z.B. Asthaufen, ergänzt werden.
Angesichts der hohen Biodiversität an Gräben und kleinen Bächen müsste dringend sichergestellt werden, dass diese generell, aber insbesondere auch im intensiv genutzten Kulturland, besser geschützt und vor unliebsamen Eingriffen bewahrt werden. Denn Gräben und weitere kleine Gewässer fallen bisher oft durch die Maschen: Sind sie weder Teil eines Schutzgebiets noch als Gewässer mit Gewässerraum ausgeschieden, fehlt ihnen jeglicher Schutz. Vielleicht eröffnen sich im Rahmen der Realisierung der «Ökologischen Infrastruktur» ungeahnte Möglichkeiten?
Samuel Ehrenbold & Marianne Baruffa, Pro Natura Luzern